Das Dienstregister umfasst die Jahrgänge 1877 bis 1913 und enthält die Einträge der jeweiligen Bürgermeister, die bei einer Neuanstellung von „Dienstboten“ – so hießen damals alle Arbeitnehmer – einen ersten Eintrag vornahmen. Bei Ausscheiden des Dienstboten wurde nicht nur dies mit Datum erfasst, sondern auch in den meisten Fällen der Grund für das Ausscheiden und ggfl. sogar eine Art Führungszeugnis vermerkt.
Die Einträge gliederten sich, wie die Abb. der unteren Seiten zeigt, wie folgt:
Fasst man die Einträge, zu denen auch Nachträge aus den Jahren 1871 bis 1875 gehören, zahlenmäßig zusammen, so ergibt sich die ...
In diesen 36 Jahren wurden 725 Dienstverhältnisse registriert.
Jährlich sind also circa 20 Dienstboten in Grebenhain neu „in Stellung gegangen“.
Etwa ein Drittel (36%) der Dienstboten waren männlich, zwei Drittel (64%) waren weiblich. Es sind also deutlich mehr „Mägde“ als „Knechte“ beschäftigt worden.
Allerdings wurde jeder Dienstbote bei jedem neuen Arbeitsverhältnis auch erneut eingetragen. Es waren zwar 725 Dienstverhältnisse, die Zahl der Personen (insgesamt waren es 524) war aber deutlich geringer: viele Dienstboten blieben zwar in Grebenhain, wechselten jedoch mehrfach die Anstellung und den Dienstherrn. So kamen viele Namen mehrfach im Dienstregister vor:
Wie die Magd Elise Bopp aus Grebenhain, die von 1891 bis 1899 siebenmal den Dienstherrn wechselte und dabei meist nur ein Jahr blieb. Über die Gründe dafür wissen wir leider nichts: Am guten Verhältnis zu den Dienstherrn kann es aber nicht gelegen haben, denn ihr Zeugnis weist jedesmal den Eintrag „gut betragen“ auf!
Die Dauer der einzelnen Dienstverhältnisse war ebenfalls stark schwankend:
Am längsten in Grebenhain dienend fanden wir den Knecht Christoph Hofmann aus Metzlos, der bei 5 verschiedenen Dienstherrn insgesamt 17 Jahre lang diente und dem im Zeugnis bescheinigt wurde , er sei „fleißig, ehrlich und von gutem Betragen“ gewesen.
Längerfristige Beschäftigungsverhältnisse bei ein und derselben Dienstherrschaft waren aber die Ausnahme, sodass im Jahre 1908 der Bürgermeister auf Anweisung seines Kreisamtes eine Auflistung erstellen musste mit dem „Betreff: Anerkennung längerer Dienstzeiten landwirtschaftlicher Arbeiter“. Dabei wurden Dienstzeiten von 5 Jahren und länger erwähnt, siehe Abbildung nächste Seite. Ob und in welcher Form diese Dienstboten dann belobigt wurden oder ob diese Aufstellung anderen Zwecken diente, wissen wir leider nicht.
Mit 3 Monaten recht kurz war die Dienstzeit verschiedener Schreiner-, Wagner- und Schuhmachergesellen, sodass wir zunächst vermuteten, dass sie „auf der Walz“ waren, also auf der traditionellen mehrjährigen Wanderreise nach der Lehre, um bei fremden Meistern Erfahrungen zu sammeln. Bei einem von ihnen mag das stimmen, denn in seinem Zeugnis stand: „ Ist in die Fremde weitergereist“. Bei anderen Gesellen ist dies aber eher unwahrscheinlich, da diese Gesellen aus Nieder-Moos oder anderen Dörfern der unmittelbaren Umgebung stammten und die Wanderburschen während der Walz üblicherweise nicht in der Nähe ihres Herkunftsorts arbeiteten durften.
Andere Beschäftigungsverhältnisse waren deutlich kürzer.
Wie Bertha M. aus Ebersbach Kreis Göppingen, die bei dem Grebenhainer Arzt Dr. Bruchhäuser als Amme für 8 Wochen angestellt war.
Oder etwa die 18-jährige Magd Katharina D. aus Bermuthshain, die an dem üblichen Einstellungsdatum 27.12.1902 in Dienst ging. Sie hat es nur 4 Wochen lang ausgehalten und sich dann am 27.1.1903 „… heimlich aus dem Dienst entfernt“. Ein zweites Anstellungsverhältnis - nur zwei Wochen später - bei einem anderen Dienstherrn war dann erfolgreich.
Die Herkunft der Dienstboten kann nach dem eingetragenen Geburtsort nur in etwa eingeschätzt werden. Wegen der seinerzeit noch recht geringen Mobilität der Landbevölkerung gehen wir aber davon aus, dass der Geburtsort in aller Regel auch der Wohnort des Dienstboten war!
Und dies sind die Zahlen der Beschäftigungsverhältnisse mit Dienstboten aus Grebenhain und Dienstboten aus Freiensteinau (heutige Ortsteile):
Bannerod | 7 |
Bermuthshain | 62 |
Crainfeld | 30 |
Fleschenbach | 4 |
Freiensteinau | 26 |
Grebenhain | 201 |
Gunzenau | 10 |
Hartmannshain | 12 |
Heisters | 3 |
Herchenhain | 21 |
Holzmühl | 10 |
Ilbeshausen | 73 |
Metzlos | 13 |
Metzlos-Gehaag | 11 |
Nieder-Moos | 15 |
Nösberts | 13 |
Ober-Moos | 12 |
Reichlos | 7 |
Reinhards | 6 |
Salz | 5 |
Vaitshain | 13 |
Volkartshain | 12 |
Weidmoos | 1 |
Wünschen-Moos | 4 |
Zahmen | 7 |
Somit kamen rund 30 % der Dienstverhältnisse mit Personen aus dem Dorf Grebenhain selbst zustande, nochmal 40 % aus dem Bereich der heutigen Großgemeinde Grebenhain und weitere 14 % Dienstboten aus dem Raum Freiensteinau.
Warum waren nun einzelne Ortschaften besonders stark vertreten, hier z.B. Ilbeshausen, Crainfeld oder Herchenhain? Das lässt sich nur zum Teil mit der Größe der Ortschaften erklären. Herchenhain beispielsweise war damals noch ein kleines, sehr armes Dorf mit wenig Verdienstmöglichkeiten, sodass hier die Armut eine Rolle gespielt haben könnte.
Kurz aufgezählt werden nun die Gegenden, aus denen die auswärtigen Dienst-boten stammten, da die Auflistung der einzelnen Dörfer den Rahmen sprengen würde: Aus den Dörfern um Alsfeld und Birstein waren jeweils 8, aus Gedern 15, aus Herbstein 16, aus dem östlichen Vogelsberg (Fuldaer Land) bzw. dem westlichen Vogelsberg nur 16 und aus Lauterbach waren es 26 Beschäftigungsverhältnisse.
Das waren neben den Landwirten vor allem alteingesessene Grebenhainer Gewerbe-treibende (wie man heute sagen würde), etwa Gastwirte oder Müller. Auch die in Grebenhain tätigen Ärzte Dr. Koch und Dr. Bruchhäuser hatten Mägde oder Knechte angestellt, gelegentlich auch z.B. einen Kutscher.
Eher selten haben sich Grebenhainer Dienstherren ihre Dienstboten aus Gegenden geholt (oder mitgebracht?), die zum Teil über 100 km und weiter entfernt von Grebenhain lagen. Diese fremden Dienstboten stammten z.B. aus Südhessen (Bad König, Lorsch, Darmstadt) oder aus Württemberg (Kammershof, Ebersbach).
Deren Dienstherren waren meist in den Vogelsberg versetzte Beamte, etwa Lehrer, Oberförster und ihre Forstassistenten, Postverwalter, Geometer und Distrikteinnehmer (= Steuereinnehmer).
Und die Dienstboten waren oft nicht einfach Mägde und Knechte, sondern Dienst- oder Hausmädchen, Kutscher, Postgehilfen.
Einer der Dienstherren war Wilhelm Freiherr von Müffling. Dieser war mit der Lauterbacher Familie der Riedesel verschwägert und ließ in 1904 die „Villa“ im Oberwald bauen, als Jagdhaus und Altersruhesitz nach seiner aktiven Zeit als Polizeipräsident von Frankfurt (1889-1904).
Von Müffling hat mehrfach Personal bei der Bürgermeisterei registrieren lassen und beschäftigte seit 1905 meist mehrere Dienstboten gleichzeitig, Knechte und Mägde, Hausmädchen oder Dienstmädchen.
Wenn ein Dienstherr durch Versetzung den Wohnort wechselte, nahm er die Dienst-boten häufig mit. Wie etwa Oberförster Leu, dessen Magd „… am 3. Juni 1880 durch Überzug ihres Dienstherrrn nach Büdingen abgemeldet“ wurde.
Dabei war es den Dienstboten aber laut Gesetz freigestellt, ob sie mit umgezogen sind oder den Dienst quittierten.
Zu Einzelheiten der Rechte und Pflichten eines Dienstboten wird auf die Geschichte „Dienstbuch der Magd Maria Mull“ verwiesen. Dort wird auch auf die Problematik der Erkrankung eines Dienstboten verwiesen. Nicht Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, sondern Entlassung aus dem Dienst konnte die Folge sein.
Als Beispiele seien genannt:
In der heutigen Zeit wird auf eine gute – und dadurch auch leider manchmal langdauernde – Ausbildung unserer Jugend größter Wert gelegt. Das war früher anders. Im 19. Jahrhundert mussten unsere Kinder und Jugendlichen schon sehr früh zum Familienunterhalt beitragen. Das findet sich auch im Grebenhainer Dienstregister bestätigt.
Die jüngsten Knechte und Mägde waren Kinder von gerade mal 10 bis 13 Jahren, bei den meisten erfolgte allerdings der Eintritt ins Erwerbsleben mit 14 Jahren - üblicherweise nach Abschluss der Volksschule und nach der Konfirmation.
Der jüngste im Register angeführte „Knecht“ war Andreas Öchler aus Crainfeld, damals erst 10 Jahre alt: Er war von September bis Dezember 1888 beschäftigt und hat sich „gut betragen“. Welche Tätigkeiten ein Zehnjähriger in der Landwirtschaft verrichtet hat, dass er offiziell als Arbeitnehmer eingetragen wurde, lässt sich nur vermuten: etwa Erntehelfer?
Die älteste Dienstmagd Juliane Ruhl aus Hartmannshain war bei ihrem Dienstantritt 1884 bereits 69 Jahre alt! Sie ist dann aber auch schon nach 6 Monaten „... wegen Altersschwäche aus dem Dienst gegangen.“
Das Durchschnittsalter der Dienstboten zu Beginn der Arbeitsaufnahme war 20 Jahre! Und 90 Prozent von ihnen waren zwischen 14 und 30 Jahre alt.
Alter bei Dienstantritt | Anzahl der Personen | Prozentanteil |
---|---|---|
10–13 | 8 | 2% |
14–19 | 272 | 63% |
20–29 | 116 | 27% |
30–39 | 16 | 4% |
40–49 | 12 | 3% |
50–59 | 7 | 2% |
60+ | 4 | 1% |
Summe | 435 | 100% |
*(soweit das Alter im Dienstregister überhaupt angegeben war)
Zu guter Letzt noch einige der Anmerkungen des großherzoglich-hessischen Bürgermeisters von Grebenhain, die einen kleinen Einblick in das Schicksal der Dienstboten geben soll:
In einem Großteil der Einträge ist jedoch nur ein kurze Anmerkung (entsprechend einem Führungszeugnis) angegeben:
„Hat sich während seiner Dienstzeit gut betragen, … klaglos bei seinem Meister betragen, … treu und fleißig, … unehrlich, … bestraft, … mangelhaft …“
So bürokratisch sich das Dienstbotenwesen auch für uns heute darstellen mag: Dienstbuch und Dienstbotenregister gaben den bis dahin weitgehend rechtlosen Bediensteten nun am Ende des 19. Jahrhunderts einen ersten Vertrags- und Arbeitsschutz.